Version: 07.06.2005

ATC




Problemzone Tubus

Beim intubierten oder tracheotomierten maschinell beatmeten Patienten sind zwei Systeme – Beatmungssystem und Lunge - miteinander verbunden. Das Verbindungsstück ist der Tubus oder die Trachealkanüle. In der Regel besitzt dieses Verbindungsstück einen geringeren Durchmesser als der Teil des Systems davor und danach.



Daraus resultiert ein erheblicher Strömungswiderstand, der sich als Druckabfall zeigt und quantifizieren lässt. Er ist definiert als der Druckunterschied zwischen dem äußeren, proximalen Ende und dem inneren, distalen Ende.

Um diesen Widerstand zu quantifizieren muss man den Druck an jedem Ende messen, aus den Messwerten lässt sich dann der Widerstand (∆PETT, ETT= EndoTrachealTubus) berechnen. PAW ist der Druck am proximalen, PTrach der Druck am distalen Ende. Das ∆ stellt dar, dass es sich um eine Differenz handelt. Die Formel lautet:

∆PETT = PAW - PETT

Während der Inspiration ist der Druck vor dem Tubus größer als hinter dem Tubus. Daraus resultiert eine positive ∆PETT. Während der Expiration findet sich in der Trachea der höhere Druck, woraus eine negative ∆PETT resultiert.

Diese Differenz ist zum einen abhängig von dem Innendurchmesser (ID) des Tubus, zum anderen auch vom Flow (Gasfluss durch den Tubus, ausgedrückt durch V’ l/s), wobei die Länge des Tubus eine vernachlässigbare Rolle spielt.

Durch Messungen hat man für unterschiedliche Tuben für jeden Flow den jeweils zugehörigen Druckabfall bestimmt und so tubusspezifische Druck-Fluss-Kennlinien erstellt.


Druck-Fluss-Kennlinien für Tuben mit dem Innendurchmesser 7,0-9,0. Die horizontale Skala zeigt den Flow (Flussgeschwindigkeit) in Liter/Sekunde, die vertikale Skala zeigt den Druckverlust ∆PETT in mbar.

Während der Inspiration positiver Flow, positive Druckdifferenz, während der Expiration negativer Flow, negative Druckdifferenz.

Was man dieser Abbildung deutlich entnehmen kann ist die Tatsache, dass die Druckdifferenz sich bei einem Flow zwischen 0 und 0,5 l/s nicht stark ändert, sich dann mit jeder Zunahme der Geschwindigkeit aber deutlich steigert. Dies ist damit zu erklären, dass die Luft bei niedrigen Flow bis etwa 0,4 l/s laminar durch den Tubus strömt, bei höheren Flows kommt es aber zu Turbulenzen, was den Widerstand deutlichst erhöht.

Ein Atemzug hat keinen konstanten Flow. In der Tat verändert sich der Flow mit jeder Phase eines Atemzuges.
Bei mäßiger Ventilation bewegen wir uns in Bezug auf den tubusbedingten Druckverlust zwischen Werten von 0 bis 10mbar. Bei verstärkter Ventilation kann dieser Druckverlust auch schon mal 25mbar ausmachen.

Die Frage ist, wer den tubusbedingten Druckverlust, der ja eine zusätzliche, uneffektive Atemarbeit bedeutet, ersetzen soll. Es stehen im Grunde drei Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einen kann der Patient diese zusätzliche Arbeit aufbringen, zum anderen kann die Beatmungsmaschine die Arbeit übernehmen, oder die zusätzliche Arbeit wird geteilt.

Sollte der Patient die Arbeit übernehmen müssen, droht eine frühzeitige respiratorische Erschöpfung.

Im Falle der Übernahme durch das Beatmungsgerät kann man sich der Druckunterstützung (PS, Pressure Support bzw. ASB, Assistent Spontaneous Breathing) bedienen. Sie stellt bei einer Einatembemühung eine eingestellte, konstante Druckunterstützung zur Verfügung.

Da wir jedoch gelernt haben, dass der Flow eines Atemzuges nicht konstant ist, geht man dann das Risiko ein, dass der Tubuswiderstand über- bzw. unterkompensiert wird. Bei einer Überkompensation wirkt sich dann die Druckunterstützung wie eine maschinelle Beatmung aus.

Das System.

Um genau dieses zu verhindern und nahezu ausschließlich den Tubuswiderstand zu kompensieren, wurde die Automatische Tubus Kompensation (ATC) entwickelt. Das Ursprungsmodell entsprach dem dargestellten Schema.



Die Messung des Flow und des Atemwegsdrucks erfolgte kontinuierlich patientennahe vor dem Tubus. Die Daten wurden an einen ATC-Controller weitergegeben, der dann zu jedem Flow anhand der bekannten Tubus-Kennlinien den Druckabfall kontinuierlich berechnete und den Atemwegsdruck um ∆PETT kontinuierlich erhöhte. Ebenso wurde auch die Expiration unterstützt und ein Unterdruck vom Gerät erzeugt.

Dieser Aufbau, insbesondere der patientennahe Sensor, zeigt sich störanfällig im routinemäßigen Einsatz.

Die Druckunterstützung beruht also zum Teil auf gemessene Werte, zum Teil auf die im Beatmungsgerät hinterlegten Tubus-Kennlinien, die anhand einer mathematischen Funktion für jeden Tubus berechnet werden.

Die Funktionstüchtigkeit dieses Systems wurde in einer Studie überprüft, die auch den Langzeiteinsatz im Auge hatte. Insbesondere, weil man annehmen muss, dass der Tubus durch Sekret an Innendruchmesser verliert, was wiederum den Tubuswiderstand erhöhen würde. Das Ergebnis war eine exzellente Übereinstimmung.

Vom Prototyp unterscheiden sich die im Klinikeinsatz befindlichen Geräte in einigen Punkten.

Zum einen, wie schon beschrieben, findet die Messung patientenfern am Gerät statt. Dies beinhaltet natürlich auch das Risiko von Ungenauigkeiten. Diese sollen aber nach Expertenmeinung nur in Extremsituationen auftreten, z.B. bei sehr schneller Änderung von Atemwegsdruck oder Gasfluss.

Der Druckverlust, der durch die Beatmungsschläuche entsteht, wird vom Gerät ausgeglichen.

Außerdem verfügt die EVITA nicht über eine Negativdruckquelle, wodurch eine komplette expiratorische Tubuskompensation unmöglich ist. Während der Inspiration erhöht die EVITA den Druck vor dem Tubus, um den entsprechenden Druckverlust durch den Tubus. Während der Expiration hat die EVITA aber nur eingeschränkt die Möglichkeit, den Druck vor dem Tubus so zu senken, dass der Druckverlust ausgeglichen wird.

Die einzige Möglichkeit besteht darin, den Druck unterhalb des positiven endexpiratorischen Drucks (PEEP) bis auf Atmosphärendruck abzusenken, was immerhin eine partielle expiratorische Tubuskompensation bedeutet.

Der Stellenwert der expiratorischen Tubuskompensation ist nicht gesichert. Es wird empfohlen, die expiratorische Tubuskompensation bei obstruktiv erkrankten Patienten auszuschalten, um den positiven Effekt der „maschinellen Lippenbremse“ zu nutzen. Weiterhin stellt die Expiration im Wesentlichen einen passiven Vorgang dar, der durch die Rückstellkräfte des Thorax gewährleistet wird.

Letztlich ist aber aufgrund dieser Tatsache keine vollständige „elektronische Extubation“ durch das System, welches in der klinischen Praxis eingesetzt wird, möglich.

Meinungen.

Breathing pattern and workload during automatic tube compensation, pressure support and T-piece trials in weaning patients.

Kuhlen, Max, Dembinski, Terbeck, Jürgens, Rossaint; Eur J Anaesth 20(1):2003

Die Atemarbeit bei Patienten im Weaning von der maschinellen Beatmung wird klar reduziert durch eine Druckunterstützung von 7cmH2O, wobei die die Atemarbeit während der ATC nahezu der Atemarbeit während der Atmung durch ein T-Stück entspricht.

Laut Information der Firma Dräger war ATC in Kombination mit 1mbar ASB wieder im Vorteil. Der Algorithmus der neuen Software wurde der Untersuchung angepasst und entspricht den Anforderungen.

Accuracy of ATC in new-generation mechanical ventilators.

Elsasser, Guttmann, Stocker, Mols, Priebe, Haberthür; Crit Care Med 31(11):2003

Die hier untersuchten kommerziell erhältlichen ATC Modes [u.a. EVITA 4] erscheinen adäquat für die inspiratorische, nicht aber für die expiratorische Tubuskompensation.

Automatische Tubus Kompensation (ATC).

Guttmann, Haberthür, Stocker, Lichtwark-Aschoff; Anaesthesist 50:2001

ATC stellt eine sehr sinnvolle Ergänzung zu bestehenden Beatmungsverfahren zur Unterstützung der Spontanatmung […] dar. Es ist wünschenswert, dass dieser Modus in möglichst vielen Beatmungsgeräten implementiert würde.

Respiratory comfort of ATC and inspiratory PS in conscious humans.

Guttmann, Bernhard, Mols, Benzing, Hofmann, Haberthür, Zappe, Fabry, Geiger; Intensive Care Med 23:1997

ATC stellt einen erhöhten respiratorischen Komfort im Vergleich zur Durckunterstützung [ASB/PS] dar. Der augenscheinlichste Grund für den mangelnden Komfort der Druckunterstützung scheint die Lungenüberbelüftung zu sein.

Atemmuster und Atemanstrengung bei ATC und inspiratorischer Druckunterstützung.

Kuhlen, Max, Nibbe, Hausmann, Sprenger, Falke, Rossaint; Anaesthesist 48:1999

Bei Probanden können sowohl ATC als auch PS zur Kompensation zusätzlicher Atemarbeit eingesetzt werden. […] Durch gezielte Wegnahme lediglich der Atemarbeit scheint ATC das bessere Verfahren zur Abschätzung des spontanen Atemmusters zu sein.

Einstellungen.

Die Konfiguration der ATC erfolgt über die Auswahl System Setup. Weitere Auswahl über die Bildschirmtasten Therapie und Modi & Einstellungen. Nun muss man den Freischaltcode

[aus der Anleitung]

eingeben, um zur Auswahlmöglichkeit ATC… zu gelangen.

Hier kann man die Voreinstellungen ändern und z.B. auch die expiratorische ATC ausschalten.

Die Einstellung zum Beatmungsmodus geschieht über die Bildschirmtaste erweiterte Einstellungen. Hier kann ATC ausgewählt werden.

Bevor man ATC einschaltet sollte man die Druckunterstützung (ASB) auf 0 stellen.

In den weiteren Schritten wird nun ausgewählt zwischen Trachealkanüle und Tubus. Weiterhin muss noch der Innendurchmesser des Tubus eingestellt werden. Als letztes muss man sich für einen Kompensationsgrad zwischen 1 und 100% entscheiden. Die Stufen 1-99% sind im Grunde für das Atemtraining gedacht, im Grunde wird aber nur eine 100%ige Kompensation empfohlen. Und nun nur noch einschalten!

ATC lässt sich aktivieren bei:
  • Druckunterstützten Atemphasen
  • Spontanen Atemphasen
  • Druckkontrollierter maschineller Beatmung
  • Volumenkontrollierten maschinellen Atemphasen mit der Zusatzoption „AutoFlow®“

Nicht zu aktivieren bei:
  • Volumenkontrollierten Atemmodi mit konstanten Flow (IPPV, IPPVassist, SIMV, MMV)
  • außer während der Expiration und bei spontanen Atemzügen
  • SmartCare®
Eventuell kann jetzt noch zusätzlich eine Druckunterstützung (ASB) eingestellt werden. Dazu sollte man langsam mit 1-2mbar beginnen und das Atemzugvolumen (VT) beobachten.

Eine ATC und ein ASB >10mbar sind nicht empfohlen, hier sollte man das Konzept nochmals überdenken! Hier wird dann nicht mehr der Tubus kompensiert sondern zusätzlich spontangetriggert, druckunterstützt „beatmet“.

Überwachung.

Neben der normalen, ausgefüllten Atemwegsdruckkurve zeigt die EVITA bei eingestellter ATC zusätzlich den berechneten PTrach als grüne Kurve an.

Entspricht dem Druck, der am distalen Tubusende bei korrekter ATC erreicht wird.



Achtung ist noch geboten bei der Einstellung der „Obere Druckgrenze“ (Alarmeinstellung!).

Der Atemwegsdruck wird maximal bis 5mbar unterhalb der oberen Druckalarmgrenze (PAW) angehoben.

Beim erreichen dieser oberen Druckgrenze Alarmierung

Drucklimitiert!!!

in dem roten Feld im oberen Monitorbereich.

Die Überwachung der Funktion der ATC entspricht der üblichen Überwachung von intubierten spontan atmenden Patienten.

Überwacht werden soll speziell die Funktion der ATC und ob die alleinige Kompensation ausreicht.

Erstes Kriterium ist das Atemzugvolumen (VT), welches adäquat sein sollte, ebenso wie Frequenz und letztlich auch das Produkt aus beidem, das Atemminutenvolumen.

Zusätzlich Hilfe bietet eine BGA, die auch patientenentsprechend ausfallen sollte.

Weitere Zeichen für Erschöpfung:

Unruhige Atmung, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur. flache Atmung, Tachypnoe, Tachycardie, Hypertonus, Schweißigkeit.



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